Patientenverfügung in der Psychiatrie

Patientenverfügung – Möglichkeiten und Grenzen der Selbstbestimmung des Psychiatriepatienten

Kann es eine Patientenverfügung gegen Zwangsbehandlung geben? Viele Vereine psychiatrisch erfahrener Patienten versprechen es. Während in allen anderen Fachgebieten der Medizin klar ist, dass es keinen Eingriff in den Körper des Patienten, seine Freiheit oder Gesundheit geben darf, ohne dass dieser zustimmt, stellt sich in der Psychiatrie die Frage nach den Grenzen der Patientenautonomie.

Die Patientenverfügung ist, ganz ähnlich einem Testament, eine für den Fall der eigenen Willensunfähigkeit vorformulierte Willenserklärung. Der Patient legt mit diesem Schriftstück heute schon fest, wie er behandelt werden möchte, wenn er in der Zukunft selbst nicht mehr entscheiden kann. In psychiatrischen Patientenverfügungen findet sich häufig die Aussage, dass Behandlungen infolge einer psychischen Erkrankung abgelehnt werden. Vor allem Zwangsbehandlungen soll durch die psychiatrische Patientenverfügung vorgebeugt werden.

Wesentliche Voraussetzung jeder Patientenverfügung ist, dass der Patient konkrete Behandlungssituationen benennt und über die in diesen Situationen in Frage kommenden Behandlungsmaßnahmen entscheidet. Die Verbindlichkeit der Verfügung steht und fällt mit ihrer Konkretheit. Hier liegt ein großes Problem der meisten psychiatrischen Patientenverfügungen. Formulierungen wie „Unter keinen Umständen darf bei mir irgendeine psychiatrische Diagnose erstellt werden.“ sind zu unkonkret. Es fehlt die Benennung einer konkreten Behandlungssituation, oft auch die Beschreibung konkreter Behandlungsmaßnahmen.

Ferner muss die Verfügung zu Zeiten der Einwilligungsfähigkeit abgefasst worden sein. Im Gegensatz zur Geschäftsfähigkeit gibt es für die Einwilligungsfähigkeit keine klare Altersgrenze. Ebenso wenig ist ein unter Betreuung stehender Mensch per se einwilligungsunfähig. Durchaus kann beispielsweise ein Schizophrener je nach Erkrankungsphase oder ein Demenzkranker in Bezug auf einfache Entscheidungen einwilligungsfähig sein. Einwilligungsfähigkeit ist demnach ein Zustand – definiert als die Fähigkeit, in der konkreten Situation die Bedeutung und Tragweite einer Entscheidung einzuschätzen.

Während der Arzt normalerweise darauf vertrauen darf, dass der Patient beim Abfassen der Verfügung einwilligungsfähig gewesen ist, gibt es bei psychiatrischen Patienten durchaus Grund daran zu zweifeln. Auch wenn die psychische Erkrankung des Patienten die Einwilligungsfähigkeit nicht ausschließt, stellt sich die Frage, ob er die Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung tatsächlich einschätzen kann, wenn er beispielsweise verfügt, dass kein approbierter Arzt ihn „hinsichtlich irgendeines Verdachts einer angeblichen psychischen Krankheit untersuchen“ oder behandeln darf (Auszug aus dem Musterformular patverfü.de). Hat der Patient mit einer solchen Verfügung tatsächlich Einsicht und Vorausschau in die Folgen und Risiken seiner Ablehnung jeder medizinischen Behandlung? Weiß er, dass das Nichtbehandeln zu wahnhaften Ängsten und akuter Eigengefährdung führen könnte und möchte er diesen Zustand tatsächlich? Patienten, die ernsthaft jede psychiatrische Behandlung selbstbestimmt ablehnen, sollten auch aus Gründen der Konkretheit solche Folgen klar und deutlich beschreiben und darlegen, dass sie unter Inkaufnahme dieser Folgen bestimmte Behandlungsmaßnahmen ablehnen.

Vorausgesetzt der Patient trifft in einem einwilligungsfähigen Zustand eine konkrete Patientenverfügung, in der er unter Beschreibung und Inkaufnahme aller Risiken bestimmte Behandlungen ablehnt – könnte er damit eine spätere Zwangsbehandlung verhindern? Die Behandlung gegen den Willen des Patienten ist überhaupt nur dann möglich, wenn es das Gesetz erlaubt. Im Rahmen der zivilrechtlichen Unterbringung regelt § 1906 Abs. 3 BGB, dass ein Patient, der auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann, unter bestimmten Voraussetzungen auch gegen seinen natürlichen Willen behandelt werden darf.

Gerade dieser Situation möchte der Patient jedoch vorbeugen, indem er zu Zeiten eigener Einwilligungsfähigkeit niederschreibt, wie er behandelt werden möchte, wenn er auf Grund seiner Erkrankung nicht mehr einsichtsfähig ist. Folglich kann mit einer konkreten, wirksamen Patientenverfügung eine Zwangsbehandlung nach § 1906 BGB verbindlich untersagt werden.

Ähnlich verhält es sich bei der öffentlich-rechtlichen Unterbringung nach ThürPsychKG. Ist ein Patient aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht einsichtsfähig, kann er gemäß § 7 Absatz 1 ThürPsychKG gegen seinen natürlichen Willen behandelt werden, wenn er sich selbst (Eigengefährdung) oder bedeutende Rechtsgüter anderer (Fremdgefährdung) erheblich gefährdet. Hier gilt, dass der einwilligungsfähige Patient mit einer entsprechend formulierten Patientenverfügung die Zwangsbehandlung wegen Eigengefährdung untersagen kann, eine zwangsweise Unterbringung und Behandlung wegen Fremdgefährdung jedoch nicht. Die Grenze der eigenen Selbstbestimmung liegt dort, wo in die Rechtsgüter anderer eingegriffen wird.

Die Patientenverfügung ist nicht auf den Fall der infausten Prognose beschränkt und somit grundsätzlich auch für Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen ein Instrument der Selbstbestimmung, selbst wenn die Nichtbehandlung zu einer akuten Eigengefährdung führt. Voraussetzung ist, dass der Patient in dem Moment, in dem er die Verfügung schreibt, die Folgen seiner Entscheidung einschätzen kann. Beschreibt er in einem einwilligungsfähigen Zustand konkrete Behandlungssituationen, Folgen und Risiken einer Nichtbehandlung und lehnt er unter Inkaufnahme dieser Folgen bestimmte Behandlungsmaßnahmen ab, ist dieser Wille verbindlich, soweit es nur die Gesundheit und das Leben des Patienten selbst betrifft. Nur wenige der im Umlauf befindlichen Formularmuster psychiatrischer Patientenverfügungen erfüllen diese Kriterien. Eine Unterbringung und Behandlung gegen seinen Willen kann der Patient nie und auch nicht durch Patientenverfügung ausschließen, wenn die Unterbringung beziehungsweise Zwangsbehandlung erforderlich ist, um eine Gefahr für andere (Fremdgefährdung) abzuwenden.